Santos de Cartier: ein Flugpionier und seine Uhr
von Gisbert Brunner am 13.07.2022
Das Modell Santos Dumont von Cartier ist Uhrenfreunden weltweit ein Begriff und sicher eines der erfolgreichsten Armbanduhr-Modell im Hause Richemont. Aber wohl wenige Träger dieser Uhr wissen, dass die Anfänge dieses Uhren-Klassikers auf das Jahr 1904 und die Anfänge der Fliegerei zurückgehen.
Ausgangspunkt war das Paris der Jahrhundertwende. Die Weltausstellung hatte ein Klima des Aufbruchs, der Forschung und der Visionen geschaffen. Im jungen „Aéroclub de France“ trafen sich bekannte und unbekannte Namen und suchten die junge Luftschifffahrt, die sich noch auf das Fliegen von gasgefüllten Zeppelins und Ballons beschränkte, mit neuen Fluggeräten zu revolutionieren. Unter ihnen bekannte Namen wie Jules Verne, Alexandre Gustave Eiffel und Louis Cartier. Unter den Luftfahrtpiloten stach besonders ein junger brasilianischer Mann aus begütertem Hause hervor – Alberto Santos-Dumont.
Alberto Santos-Dumont
Er hatte bereits mit einem Zeppelin verschiedene Flugrennen erfolgreich bestritten und arbeitete nun an einem Fluggerät, dass motorgetrieben und damit schwerer wie Luft sein sollte. Im Zuge dieser Entwicklung hatte sich Santos-Dumont von seinem Freund Louis Cartier auch eine Uhr gewünscht, bei der man während des Flugs die Hände frei für Navigation und Flugsteuerung hätte. Die damals noch vorherrschenden Taschenuhren waren dafür einfach zu umständlich und das von Santos-Dumont im Jahr 1905 entwickelte Fluggerät mit Motor verlangte freie Hände.
Und so war es Louis Cartier selbst, der für seinen Freund aus dem Aéroclub de France die erste „Piloten-Uhr“ entwickelte und Alberto Santos-Dumont als persönliches Geschenk überreichte.
Als Santos-Dumont am 12. November 1906 zu einem phantastischen Flug von 220 Metern in 21,5 Sekunden aufstieg, war die Uhr seines Freundes Louis Cartier an seinem Handgelenk und die Gattung der Fliegeruhren geboren. Entsprechend groß war weltweit die Bewunderung für diesen brasilianischen Flugpionier. Filmische Aufnahmen von Santos-Dumont wie seines Flugs sind glücklicherweise erhalten geblieben.
Der Beginn einer Ära
Wer nun glaubt, dass mit diesen Anfängen des Fliegens zeitgleich auch der Siegeszug der Cartier Santos begann, muss sich noch gedulden. Denn die Uhr war trotz der innovativen Form und der ersten Metall-Schließe zunächst ein persönliches Geschenk an Alberto Santos-Dumont und bei Cartier nicht erhältlich.
Erst nach sieben Jahren, im Jahr 1911, gelangten Modelle der Cartier Santos ins Cartier Geschäft in Paris. Das Gehäuse von knapp 35 x 25 mm war recht klein und die Uhren wurden dem Klientel entsprechend in Gold angeboten. Das Werk stammte von EWC European Watch & Clock Company, war aber hochwertig und von Edmond Jaeger gebaut.
Der Erfolg ließ nun nicht lange auf sich warten und schon bald erwarben luftfahrtbegeisterte Kunden diese neue Armbanduhren.
Alberto Santos-Dumont hingegen verließ schließlich im Laufe des ersten Weltkriegs Frankreich und ging zurück in seine Heimat Brasilien.
In den 1940-er Jahren verblasste der Glanz des Hauses Cartier. Ab 1972 brach mit der Übernahme der Cartier-Paris-Aktien von durch eine Gruppe cleverer Finanziers um Joseph Kanoui an der Pariser Rue de la Paix endgültig eine neue Epoche an. Robert Hocq, Vater des erfolgreichen Feuerzeugs wurde zum Präsidenten der Gesellschaft bestellt. Die Marketingabteilung übernahm Alain Dominique Perrin, der schon 1969 in die SA Briquet Cartier eingetreten war.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg war die Linie „Must de Cartier”, 1973 ins Leben gerufen. Unter diesem -eher zufällig- kreierten Slogan sollten künftig Feuerzeuge, Kugelschreiber, Brillen, Parfum, sonstige Accessoires und natürlich Armbanduhren zusammengefasst werden. Dem neuen Generaldirektor Alain-Dominique Perrin wurde die anspruchsvolle Aufgabe übertragen, die Must-Philosophie zu internationalisieren. 1976 feierte „Les Must de Cartier” die erste Uhrenkollektion in Vermeil (Sterlingsilber vergoldet), und zwei Jahre später erlebte die „Santos” in einer volkstümlichen Stahl-Gold-Version mit verschraubtem Glasrand ihr Comeback.
Mit der Zusammenfassung aller weltweiten Beteiligungen unter dem Dach der “Cartier Monde” wurde 1979 ein wichtiger Schritt zum eingangs erwähnten Globalplayer getan. Die Fusion der „Cartier Joaillerie SA” und der „Lest Must de Cartier SA” sowie die Ernennung von Alain Dominique Perrin zum Präsidenten der Cartier SA und der Cartier International taten 1981 ein übriges: Cartier glänzte wie in alten Tagen. Die abgebildete Anzeige aus dem Jahr 1987 zeigt den sportlichen Klassiker „Santos“ als echtes „must have“.
Die Wiederentdeckung
Im Laufe der Jahrzehnte geriet der waghalsige Luftpilot Alberto Santos-Dumont in Europa mehr und mehr in Vergessenheit. Anders erging es der nach ihm benannten Uhr. Sie überdauerte die Jahrzehnte und war in den 70-er und 80-er Jahren ein wichtiges Uhrenmodell der Marke Cartier.
Ende der 90-er Jahre war es dann Zeit für einen neuen Aufbruch des Modells. Cartier lancierte im Jahr 1996 insgesamt 90 Sondermodell-Uhren aus Platin mit lachsfarbenem Zifferblatt, Zeigern im Breguet-Stil und einer Faltschließe aus Weißgold.
Diese Jubliäums-Santos-Dumont anlässlich des 90-jährigen Jubiläums Santos-Dumonts war mit 36 x 27 mm kaum größer als das Originalmodell. Das Handaufzugswerk war sehr kompakt und schlank, kam von Frédéric Piguet und gefiel außerordentlich. Auch die Limitierung trug zum Erfolg stark bei und so ist das Modell auch heute noch heiß begehrt. Weitere Modelle, bei denen historisches Design mit hochwertigen Kalibern von führenden Uhrwerkherstellern kombiniert wurden, folgten dann 1998.
Relaunch der Santos de Cartier
Nach weiteren kleinen Sondereditionen war dann im Jahr 2005 der richtige Zeitpunkt für einen echten Relaunch. Das Design der Santos Dumont wurde überarbeitet. Dabei wurde insbesondere das mitunter als TV-Format beschriebene Gehäuse kreiert, indem man es etwas verlängerte. Auch die für die vorherigen Modelle typischen Schrauben wurden weggelassen und ein mechanisches Piaget-Werk trieb die Uhr an. Dieser gestalterische Fortschritt machte die Uhr für viele Menschen ausnehmend attraktiv und weitere Line-up’s folgten.
Hervorzuheben sind dabei wohl die skelettierten Modelle. Zur besonderen Art dieser Skelettierung ist zu sagen, dass sie auf sehr besondere Weise erfolgt. Es ist keine Skelettierung mit dem Fokus auf das uhrmacherische Detail des Uhrwerks. Vielmehr geht es um eine Form der Gestaltung, eine Art des offenen Werkbaus, die den Eindruck von Luftigkeit und Durchsichtigkeit erzeugt. Auch heute begeistert Cartier mit den skelettierten Modellen, wie der WHSA0015.
Für jedes Alter eine Uhr
Die neue Santos-Dumont in Stahl operiert deshalb nicht mit einem aufwendigen Automatik-Kaliber sondern mit einem hochwertigen Quartzwerk mit 6 Jahren Batterielaufzeit.
Das sportlich-elegante Design des fast quadratischen Gehäuses, das mit Signaturschrauben an der Lünette, römischen Ziffern und gebläuten Zeigern glänzt wurde weiterentwickelt. Die Uhr ist jedoch glatter in ihrer Optik und kommt ohne Lünettenschrauben aus. Besonders die jüngere Zielgruppe fühlt sich hier von Preis und Optik angesprochen.