Fliegeruhren - Helden der Lüfte
von Holger Christmann am 04.01.2022
Fliegeruhren erinnern uns an die Abenteuer der Luftfahrt und wecken die Sehnsucht nach fernen Zielen. Holger Christmann stellt die wichtigsten Typen vor.
Die Eroberung der Lüfte ist eines der faszinierendsten Kapitel der Menschheit. Flugpioniere wie Alberto Santos-Dumont, Charles Lindbergh, Amelia Earhart und Howard Hughes beeindrucken uns bis heute durch ihren Mut und ihr Vertrauen in den technischen Fortschritt. Gerade in den ersten Jahrzehnten der Fliegerei waren Armbanduhren an Bord lebenswichtige Instrumente. Sie verrieten Pilotinnen und Piloten, nicht nur, wie lange sie schon unterwegs waren, sondern erlaubten ihnen auch, zu berechnen, wo sie sich befanden.
Die Fliegeruhren, die sie trugen, wurden zu Klassikern. Sie begeistern noch heute durch hervorragende Ablesbarkeit bei Tag und Nacht, Robustheit und technische Präzision. Tragbar sind sie in Zeiten des Casual Chic fast zu jedem Anlass. Nur zum Smoking und zum Abendkleid sollten Mann oder Frau lieber eine elegante Dresswatch wählen. Sonst geht eine Fliegeruhr immer.
Wie alles begann: Cartier Santos-Dumont
Im Dezember 1903 gab der brasilianische Flugpionier Alberto Santos-Dumont eine Party in seinem Apartment an den Champs-Elysées. Santos-Dumont war eine der schillerndsten Figuren im Paris der Belle-Époque. Er besaß ein kleines Luftschiff, die Baladeuse. Mit ihr schwebte er – kein Witz – abendlich über die Dächer der Stadt zu den angesagten Bars. Während er drin, seinen Champagner schlürfte, wartete sein Fluggerät vor dem Lokal, angebunden an einen Laternenpfahl.
Auf besagter Wohnungsparty tummelte sich die Hautevolee von Paris. Darunter waren Prinzessin Isabel, die Tochter des letzten Kaisers von Brasilien und der Juwelier Louis Cartier. Santos-Dumont beklagte sich bei ihm, dass er die Zeiten seiner Flüge nicht messen könne, weil es zu gefährlich sei, die Hand von den Kontrollgeräten zu nehmen, um nach seiner Taschenuhr zu greifen. Cartier versprach eine Lösung – und präsentierte kurz darauf die Lösung. Er erfand für seinen Freund den ersten modernen Zeitmesser mit integriertem Armband.
Das Uhrwerk kam vom französische Uhrmacher Edmond Jaeger. Die rechteckige Santos mit Lederarmband war somit nicht nur die erste Fliegeruhr, sondern auch die erste Herrenarmbanduhr überhaupt. Sie genießt daher bis heute Kultstatus und ist aus der Uhren-Kollektion von Cartier nicht wegzudenken.
Welche Fliegeruhren gibt es?
Weems-Uhr von Longines (1927)
Je länger die Flugstrecken wurden, desto größer wurden die Anforderungen an Fliegeruhren. Sie sollten nun auch beim Navigieren auf langen Strecken und in großen Höhen helfen. 1927, in dem Jahr, als Charles Lindbergh mit seiner Spirit of St. Louis ganz allein den Atlantik überquerte, entwickelte Philip van Horn Weems, ein amerikanischer Kommandant und Navigationslehrer, in Zusammenarbeit mit Longines eine Uhr mit drehender Scheibe, die dem Benutzer die sekundengenaue, für die Navigation unerlässliche Synchronisierung mit einem Zeitzeichen-Signal ermöglichte. Die Weems-Uhr ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Fliegeruhren.
Stundenwinkeluhr von Longines (1931)
Der Flugpionier Charles Lindbergh, ein Schüler von Weems, konzipierte – ebenfalls mit Longines – die Stundenwinkeluhr. Ihre Skala zeigt neben Stunden und Minuten in 15-Grad-Schritten (was bei einer vollen Umdrehung des Stundenzeigers in 12 Stunden 180 Bogengrade ergibt) den Winkel zwischen der Sonne und dem jeweiligen Ortsmeridian an. Der Einsatz der auf dem 1927 entworfenen Weems-Modell basierenden Lindbergh-Stundenwinkeluhr ermöglichte Fliegern die Berechnung der Längen- und Breitengrade und gab ihnen ihre exakte geografische Position an. Piloten benötigten aber zusätzlich einen Sextanten und ein astronomisches Jahrbuch an Bord.
Beobachtungsuhr oder B-Uhr (1940er Jahre)
Im Zweiten Weltkrieg orderten die Luftwaffen von Alliierten und Achsenmächten Fliegeruhren in großem Stil. Das deutsche Reichsluftfahrtministerium beauftragte mehrere Hersteller mit dem Bau sogenannter Beobachtungsuhren. Beobachter war ein Synonym für den Navigator im Flugzeug. Diese B-Uhren sollten in eiskalter Höhe zuverlässig funktionieren, einen großen Durchmesser von 55 Millimetern haben und bei Tag und Nacht gut ablesbar sein, also mit Leuchtmasse beschichtet sein. Die enorme Größe hatte auch damit zu tun, dass die Uhren über der Fliegerjacke getragen wurden. Vorgeschrieben war auch eine große zwiebelförmige Krone, die mit Handschuhen bedient werden konnte. Getragen wurden die Beobachtungsuhren von Piloten und Navigatoren, die mithilfe der Fliegeruhr und eines Oktanten die genaue Position des Flugzeugs bestimmten.
Bei den militärischen Flieger-Beobachtungsuhren gab und es zwei vorgeschriebene und bis heute gebräuchliche Baumuster: Das Baumuster A war besonders für Piloten gedacht. Sein Zifferblatt zeigt die Stunden von 1 bis 11 Uhr an. Anstelle der 12 weist sie ein Dreieck mit zwei Punkten auf. Es sorgt dafür, dass ihr Träger bei schlechten Sicht- und Flugverhältnissen und in Stresssituationen mit einem flüchtigen Blick die Stellung der Zeiger zur 12 erkennen kann.
Das ebenfalls bis heute erhältliche Baumuster B wandte sich speziell an Navigatoren. Sein Zifferblatt wird dominiert von großen Minutenzahlen in 5er-Schritten. Die Stunden-Einteilung von 1 bis 12 ist auf einen kleinen Innenring verlegt. Hersteller solcher militärischer Fliegeruhren für die deutsche Luftwaffe waren in den vierziger Jahren Marken wie A. Lange & Söhne, Laco, Stowa und IWC Schaffhausen.
Fliegeruhren von IWC
IWC war ein Pionier auf dem Gebiet der Fliegeruhr. 1936 stellte das Unternehmen seine erste Spezialuhr für Flieger vor, einen Zeitmesser mit schwarzem Zifferblatt und großen Leuchtzeigern und Ziffern. Zu den technischen Merkmalen der neuen Konstruktion gehörten ein antimagnetisches Uhrwerk und bruchsicheres Frontglas. Zudem funktionierte der Zeitmesser in einem Temperaturspektrum zwischen - 40 und + 40 Grad Celsius, was in den ungeheizten Cockpits jener Zeit ein entscheidender Vorteil war. Die Fliegeruhr von IWC gibt es heute immer noch.
Die Kollektion heißt heute „Pilot’s Watch” und ist ein Aushängeschild von IWC. Bekannte Ausführungen sind die „Top Gun“, „Spitfire“ oder die Sonderedition „Le Petit Prince“ zu Ehren des Literaten und Berufspiloten Antoine de Saint-Exupéry.
1940 produzierte IWC für die deutsche Luftwaffe die erste Große Fliegeruhr (Ref. IW431). Sie maß 55 Millimeter im Durchmesser und wurde vom Taschenuhrkaliber 52 T.S.C. angetrieben. Ihr Gehäuse war perlgestrahlt, um irritierende Lichtreflexionen im Cockpit zu verhindern. Die Große Fliegeruhr heißt heute IWC Big Pilot.
Die Big-Pilot-Kollektion des Jahres 2021/22 ist in 43 Millimetern und 46 Millimetern erhältlich und mit dem IWC-Manufakturwerk Kaliber 82100 ausgestattet. Diese ist mit dem für IWC typischen Pellaton-Aufzug bestückt, der beide Drehrichtungen des Rotors für das Aufziehen der Zugfeder nutzt. Stark beanspruchte Komponenten der Uhr sind aus verschleißarmer Keramik gefertigt – etwa der Exzenter, das Automatikrad oder die Klinken.
Dritte im Bunde war (und ist) die IWC Mark 11 von 1948. Der Militärzeitmesser war für die Piloten der Royal Air Force und anderer Commonwealth-Staaten bestimmt und gehörte bis 1981 zu deren offizieller Ausrüstung. Das IWC-Kaliber 89 wurde durch ein Weicheisen-Innengehäuse vor Magnetfeldern geschützt – eine solche Anforderung hatte die deutsche Luftwaffe an die Große Fliegeruhr noch nicht gestellt. Heute ist die IWC Mark-Kollektion bei der Version Mark XVIII angekommen. Die Uhrwerke der Kollektion sind auch heute durch ein Weicheisen-Innengehäuse gegen Magnetfelder abgeschirmt. Im Innern tickt heute das IWC-Kaliber 35111 auf der Basis des Sellita SW 300-1.
Dirty Dozen (1940er Jahre)
Auch die britische Armee machte für ihre militärischen Fliegeruhren genaue Vorgaben. Sie mussten ein schwarzes Zifferblatt, arabische Ziffern, Leuchtzeigern für Stunden und Minuten, Leuchtindexe, eine Eisenbahnminuterie, bruchsicheres Glas und ein Edelstahlgehäuse aufweisen.
Zwölf Hersteller wählte das britische Verteidigungsministerium in den 1940er Jahren als Lieferanten aus: Buren, Cyma, Eterna, Grana, Jaeger-LeCoultre, Lemania, Longines, IWC, Omega, Record, Timor und Vertex. Die Zwölf sind heute als das „Dreckige Dutzend“ bekannt. Der Name spielt auf den gleichnamigen Kriegsfilm mit Charles Bronson und Lee Marvin aus dem Jahr 1967 an.
Fliegerchronographen und die Breitling Navitimer
Die Stoppfunktion ist die einzige Komplikation, die eine echte Fliegeruhr schon immer besitzen durfte, denn sie erlaubte im Cockpit nützliche Kurzzeitmessungen. Deshalb stellten Longines und andere Marken schon in den 1930er Jahren Fliegerchronographen her. Ansonsten kommt es bei Fliegeruhren vor allem auf schnelle, unmissverständliche Ablesbarkeit an – nicht auf viele Funktionen.
Eine Ausnahme von dieser Regel stellt der Breitling Navitimer dar. Der Mathematiker Marcel Robert entwickelte für den Fliegerchronographen eine komplexe Rechenschieberlünette. Die Skalen bilden die wichtigsten Einheiten im Leben eines Flugzeugführers ab: STAT (Standardmeilen), KM (Kilometer) und NAUT (Seemeilen). Stellt man eine Ziffer der Außenskala auf die gewünschte Einheitsmarkierung, können die anderen Einheiten abgelesen werden. Piloten können mit der Navitimer Treibstoffverbrauch, Steig- oder Sinkflugraten und die Durchschnittsgeschwindigkeit errechnen.
Fliegeruhren heute
Seitdem Uhren Teil der Bordelektronik geworden sind, scheinen sie im Cockpit entbehrlich zu sein. Doch da Bordinstrumente in seltenen Fällen ausfallen können, lernen Piloten auch heute in ihrer Ausbildung, wie sie ein Flugzeug notfalls allein mit Hilfe ihrer Uhr und ihren Rechenkünsten sicher landen können.
Uhrenmarken wissen, dass die Menschheit die Fliegerei bewundert. So verbaute die britische Uhrenmarke Bremont in ein Modell Werkteile einer ausrangierten Concorde. Die Breitling Navitimer erinnert an die Zeit, als Flüge mit dem „Jumbo-Jet“ schick waren und weite Reisen für viele möglich wurden.
Hoch schlagen die Herzen von Uhrenfans auch, wenn Zeitmesser in Verbindung mit Luftfahrtpionieren stehen: So wie die neue Longines Spirit, die es als Dreizeiger-Uhr und als Fliegerchronograph gibt. Das Modell erinnert an Heldinnen und Helden der Luftfahrt, die Longines-Uhren trugen: an Amelia Earhart, die erste Frau, die allein den Atlantik überquerte. Oder an Elinor Smith, die jüngste Pilotin ihrer Zeit. Als Smith 1930 zur Pilotin des Jahres gewählt wurde, brach sie mit 8357 Metern den Höhenrekord für Frauen und Männer.
Nach ihrer Landung schrieb sie einen Brief, den sie Longines sicher im Erfolgsfall versprochen hatte, was jedoch nicht gegen seinen Wahrheitsgehalt spricht:
„Ich freue mich Ihnen mitzuteilen, dass ich soeben einen neuen Höhenrekord aufgestellt habe und ausschließlich Longines-Zeitmesser bei mir hatte. Die Zeitmesser funktionierten jederzeit einwandfrei.“
1931 verlor Smith bei einem neuen Rekordversuch auf 9144 Metern Höhe ihr Bewusstsein. Als sie abstürzte, kam sie in letzter Minute wieder zu Bewusstsein und konnte noch sicher landen. Die Uhr mit der geflügelten Sanduhr im Logo blieb auch von diesem ikarushaften Höhenflug unbeeindruckt.
Die Fliegeruhren von heute verbinden das Flair einer großen Geschichte mit modernster Technik. So ticken in den neuen Fliegeruhren von Longines, Spirit und BigEye, Antriebe mit Siliziumfeder. Damit sind sie amagnetisch und leistungsstärker als alle Uhren, welche die Pioniere und Pionierinnen der Luftfahrt trugen.
Und das muss etwas heißen.
Holger Christmann