Auf die Sekunde genau- der Chronometer
von Holger Christmann am 10.02.2022
Gewiss: Auf mechanische Armbanduhren ist Verlass. Manche Hersteller nehmen es mit der Präzision jedoch so genau, dass sie sich die Genauigkeit ihrer Uhren amtlich bestätigen lassen. Solche Uhren nennt man Chronometer.
Mit der Uhrenfachsprache ist es so eine Sache. Manche Fachbegriffe klingen verflixt ähnlich und meinen doch ganz verschiedene Dinge. So wie der Chronograph und das Chronometer. Der eine ist, aus dem Altgriechischen abgeleitet, ein Zeitschreiber, der andere ein Zeitmesser. Man muss tief in die Geschichte eintauchen, um die Unterscheidung zu verstehen. Der Chronograph ist eine Uhr mit Stoppfunktion, und die ersten Automaten dieser Gattung schrieben Stoppzeiten tatsächlich mit Tinte auf.
Anmerkung:
Wenn Sie hierzu mehr erfahren wollen, empfehlen wir Holger Christmanns Beitrag zu Chronographen im DRUBBA MOMENTS MAGAZIN.
Wie alles begann
Der Chronometer hingegen wurde schon immer mit Präzision gleichgesetzt. Vermutlich verwendete der englische Uhrmacher John Arnold den Ausdruck erstmals 1779, um seinen sensationell genauen Taschenchronometer „Nr. 1/36“ zu preisen. Chronometer waren ursprünglich vor allem auf hoher See anzutreffen, wo gewöhnliche Uhren wegen der Temperaturschwankungen und Schiffsbewegungen unbrauchbar waren. 1714 hatte der Engländer John Harrison von der britischen Regierung ein Preisgeld von 20 000 Pfund erhalten, weil er einen Seezeitmesser konstruiert hatte, der den Längengrad eines Schiffes am Ende einer sechswöchigen Reise auf 30 geografische Meilen (etwa 34,6 Meilen oder 55,7 km) genau bestimmen konnte. Ein Zeitmesser, dem dies gelang, musste die Zeit innerhalb von drei Sekunden pro Tag halten, eine Genauigkeit, die zum Zeitpunkt der Auslobung der Belohnung auch die besten Pendeluhren an Land nicht erreichten.
Harrison erfand den Marinechronometer – und leistete damit seinen ganz eigenen Beitrag zum Aufbau der britischen Seeherrschaft.
Was erlauben, COSC?
Bis heute versteht man unter einem Chronometer eine besonders exakt gehende Uhr. Genau genommen eine, deren Präzision von Amts wegen geprüft wurde. Die bekannteste Prüfstelle ist die Offizielle Schweizer Kontrollstelle für Chronometer (COSC – Contrôle officiel suisse des chronomètres) mit Sitz in La Chaux-de-Fonds. Sie wurde 1973 von den fünf Uhrmacherkantonen Bern, Genf, Neuenburg, Solothurn, Waadt sowie dem Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH gegründet. Teststellen unterhält der gemeinnützige Verein in Biel, Le Locle und Saint-Imier. Ziel der COSC war und ist es, die Ausnahmequalität von Swiss-Made-Uhren zu betonen. Deshalb sind auch nur Schweizer Uhren zur Prüfung zugelassen.
Als schweizerisch gilt eine Uhr neuerdings, wenn mindestens sechzig Prozent ihrer Herstellungskosten in der Schweiz anfallen. Früher konnten auch deutsche Uhren mit Schweizer Uhrwerk ein COSC-Zertifikat für ihr Werk erhalten. Dann wurden die Voraussetzungen verschärft.
Dabei gilt das COSC-Siegel nicht als der Weisheit letzter Schluss. Getestet wird hier nämlich nur das Uhrwerk, nicht die komplette Uhr.
Auf die Sekunde genau
Keine Chance für Abweichler
Basis der Prüfungen ist die ISO-Norm 3159 für Armband-Chronometer mit einer Unruh mit Spiralfeder als Oszillator. Sie verlangt, dass der Gang eines Uhrwerks fünfzehn Tage lang in verschiedenen Lagen und bei drei Temperaturen gemessen wird. Jedes Prüfstück wird vierundzwanzig Stunden lang bei einer festgelegten Temperatur in einer bestimmten Lage befestigt.
Jeden Tag werden die Prüfstücke kurz aus den Wärmekammern genommen, um durch optische Messgeräte mit jeweils fünf Kameras die nötigen Messungen durchzuführen. Die Uhr darf nach den Tests im Durchschnitt nicht mehr als minus vier bis plus sechs Sekunden nach- oder vorgehen. Aber auch andere Werte darf sie nicht reißen. So darf der maximale Gangunterschied zwischen den Lagen Krone links und Zifferblatt oben täglich nicht mehr als minus sechs bis plus acht Sekunden betragen. Auch Temperaturschwankungen zwischen acht und achtunddreißig Grad muss der Prüfling aushalten. Pro Grad Celsius Temperaturunterschied sind Gangabweichungen von +/- 0,6 Sekunden gestattet.
Nicht jede Uhr besteht dieses Examen. Die Durchfallquote liegt bei vier Prozent. 2020 erhielten aber immerhin 1,6 Millionen Uhrwerke das Prüfzertifikat der COSC. Die Chronometer bleiben dabei eine kleine Elite unter den Armbanduhren. Nur sechs Prozent aller exportierten Schweizer Uhren werden als solche zertifiziert.
Manche wollen es noch genauer wissen
Trotzdem verlangen besonders anspruchsvolle Marken von mehr von ihren Uhren als die COSC. So lässt Rolex seine Oyster-Perpetual-Werke zwar allesamt zuerst vom Staat prüfen. Anschließend schalen die Genfer jedes dieser geprüften Kaliber in Gehäuse ein und prüft sie dann noch einmal auf hauseigenen Teststraßen. Im Fokus stehen dann neben der Genauigkeit, Wasserdichte, Gangreserve und der Automatikaufzug.
Am Ende müssen dürfen die Rolex-Kaliber im täglichen Mittel nicht mehr als minus oder plus zwei Sekunden vor- oder nachgehen. Wenn sie das tun und auch die anderen Rolex-eigenen Testverfahren erfolgreich durchlaufen haben, erhalten die Rolex Oyster Perpetuals das hauseigene Prädikat Chronometer der Superlative, zu erkennen an dem grünen Anhänger.
Anziehend amagnetisch: Omegas Master Chronometer
2015 führte auch Omega eine eigene Zusatzprüfung ein. Da die Bieler besonders stolz sind auf ihre Fortschritte in punkto Magnetismus-Abwehr, stellten sie 2015 das Zusatzprädikat Master Chronometer vor.
Als Partner für die Zertifizierung gewannen sie das Eidgenössische Institut für Metrologie, Metas. Das Amt achtet besonders auf die Widerstandsfähigkeit der Uhren gegenüber starken Magnetfeldern. Die Omega Master Chronometer müssen Magnetfeldern mit einer magnetischen Flussdichte von 1,5 Tesla (15000 Gauss) standhalten. Da Magnetfelder heute allgegenwärtig sind, vom Handtaschenverschluss bis zum Mobiltelefon, bieten Omega seinen Kunden hier einen echten Mehrwert.
Metas zertifiziert auch die Wasserdichtheit der Omega-Uhren. Dafür werden die Prüflinge für zwei Stunden in einen Drucktank getaucht und einem Druck von bis zu 1500 Bar ausgesetzt. Sobald sie aus dem Wasser kommen, werden die Kandidaten auf 50 Grad erhitzt. Danach wird ein Tropfen kalten Wassers auf das Saphirglas gegeben. Wenn keine Kondensation auftritt, entspricht die Uhr den Metas-Standards.
Sie will die ganze Uhr: die Sternwarte Glashütte
Seit Anfang 2006 gibt es auch in Deutschland wieder eine eigene Chronometerprüfstelle: die Sternwarte Glashütte. Sie geht auf die Initiative des Juweliers Wempe zurück. Kim-Eva Wempe hatte die verfallene Sternwarte 2005 erworben und restaurieren lassen.
In Zusammenarbeit mit dem Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz und dem Staatsbetrieb für Mess- und Eichwesen in Glashütte richtete Wempe in dem historischen Gebäude die einzige deutsche Prüfstelle für Armbandchronometer nach ISO-Norm ein. In einem Punkt sind die Anforderungen nach der deutschen Norm strenger als bei den Schweizer Kollegen. Das Uhrwerk wird hier nicht separat geprüft, sondern im Gehäuse. Die Sternwarte Glashütte testete anfangs nur Wempe-Uhren. Heute zählt sie zu ihren Kunden auch andere Marken aus Glashütte sowie Hersteller aus anderen Orten in Deutschland.
Beisst nicht: Die Viper von Besançon
Ein weiteres Chronometer-Siegel hatten selbst Experten nicht auf dem Schirm. Sie waren ziemlich überrascht, als TAG Heuer 2018 einen Carrera-Chronometer mit Chronographen und Tourbillon vorstellte, auf dessen Uhrwerksbrücke der Kopf einer Viper aufgedruckt war. Was sie erblickten, war das Chronometer-Prüfsiegel des Observatoriums von Besançon. Die französische Stadt, einst die Hauptstadt der Franche-Comté und ziemlich nah an den Schweizer Uhrmacherregionen liegend, blickt auf eine lange Uhrmachertradition zurück, auch wenn dort heute keine weltbekannten Marken ansässig sind. Das Prüfsiegel, die Tête de Vipère, verleiht das Observatorium seit 1897. Anders als die COSC und genau wie die Sternwarte Glashütte testet das französische Observatorium die komplette Uhr.
Chronometerprüfungen lassen sich die Institute honorieren. Doch für diesen Preis, der die Uhr maßvoll verteuert, erhält man das gute Gefühl, amtlich geprüfter Präzision. Wem Sekundengenauigkeit wichtig ist, der wird Wert darauf legen, einen Chronometer am Handgelenk zu tragen.
Holger Christmann